Antwerpen im November

Antwerpen_Grote_Markt_im_Abendlicht

Antwerpen im November

Viel zu kurz, aber für einen ersten, wunderbaren Eindruck auf jeden Fall ausreichend, besuche ich im November erstmals Antwerpen. Es geht dort um diese Jahreszeit vergleichsweise beschaulich zu. Einzig abends spontan einen Tisch in einem Restaurant zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Alle Lokale sind gut besetzt. Aber auch das klappt letztendlich. So landen wir am ersten Abend in der Nachbarschaft unserer Unterkunft in einer „Kiezkneipe“ mit einfacher Küche, dafür um so herzlicherer Atmosphäre. Als wir am nächsten Abend nochmal auf ein Bier vorbeischauen, werden wir schon fast wie Stammgäste begrüßt. An einem anderen Abend erkunden wir das jüdische Viertel und landen bei hoffys. Im Lokal ist weniger los. Dafür um so mehr vorne im Laden, wo sich die Leute etwas für ihr Abendessen zuhause mitnehmen. Ich staune über die vielen orthodoxen Jüdinnen und Juden, die hier leben und das Straßenbild ganz selbstverständlich prägen. Weit und breit ist kein Sicherheitsdienst zu sehen. Anders als in Berlin, wo – zumindest mir – oft erst durch den Objektschutz auffällt, daß sich dahinter eine jüdische Einrichtung verbirgt.
Ganz zuvorkommend bedient und lecker bewirtet werden wir als Gruppe von vier spontan hereinschneienden, hungrigen Mäulern im Lokal Mampoko. Für mich eine wirkliche Empfehlung. Die Reservierung eines Tisches ist unbedingt ratsam.
Bei einer Städtereisen im November liegt es nahe, auch immer ein Café in Augenschein zu nehmen. Überall werden köstliche Tagessuppen angeboten. Und dann gibt es da ja auch noch die hervorragenden Konditoreien und Bäckereien …

Der Altstadtkern ist weitgehend erhalten, allerdings durchsetzt mit einigen Bausünden. Vieles aus den ausgehenden Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts. Wie ich finde, teils wenig subtil dazwischen geklotzt.
Anderes dafür entzückt mein Herz. Gleich bei Ankunft staune ich über den glanzvoll restaurierten Hauptbahnhof, Anfang und Endpunkt meines Städteausflugs nach Antwerpen. Oder über manchen Prachtbau auf der Meir, einer der Fußgängerstraßen. Die Erdgeschosse allerdings gleichen denen vieler europäischer Städte. Überall die gleichen Ladenketten. Die einzigartigen Mode- und Design-Geschäfte der Stadt verstecken sich in Nebenstraßen.

Die Temperaturen laden allerdings sowieso nicht zu ausgiebigem Schlendern ein. So widmen wir uns gezielt den historischen Häusern, die kleine, feine Museen beherbergen und teils anschaulich erahnen lassen, wie einst hinter diesen Wänden gelebt wurde. Völlig begeistert sind wir von der Druckwerkstatt, der Bibliothek und dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Plantin-Moretus. Und den geprägten Ledertapeten in einigen Räumen. Es wirkt alles so lebendig, daß es nicht wundern würde, käme ein Angehöriger der Familie Plantin-Moretus um die Ecke. Stundenlang atmen wir dort die gelebte Geschichte ein. Und lauschen dem Knarzen der Holzdielen unter unseren Schritten.
Auch das Rubenshaus, dessen Umbau und Erweiterung Rubens selbst mit geplant hat, ist ein beeindruckendes Zeugnis des Goldenen Zeitalters.
Eine weitere Besonderheit  ist das Museum Mayer Van den Bergh. In dem wir vor allem in die Fantasiewelten Pieter Bruegel des Älteren eintauchen und von einigen Glasmalereien besonders hingerissen sind. Wie verdienstvoll, daß die Mutter von Fritz Mayer van den Bergh nach dessen frühem Tod 1901 seinen Traum Wirklichkeit werden und ein Museum im Stile des Mittelalters/Renaissance erbauen ließ, um die Sammlung des Sohnes darin wirksam zu präsentieren.

Am letzten Tag streifen wir noch durch das ehemalige Wohnhaus des Herrn Rockox, einst Bürgermeister der Stadt und Nachbar des Stilllebenmalers Frans Snijders. Dieses Haus ist innen stark modernisiert, doch die ausgestellte Kunst läßt auch dort vergangene Zeiten wieder aufleben. 
In dem Moment, als wir zufällig auf dem wunderschönen Platz vor der
St. Carolus Borromäuskirche landen, strömen die Gottesdienstbesucher*innen heraus. Wir schlüpfen schnell hinein und lassen beglückt die barocke Üppigkeit auf uns wirken. Die Kirche ist im Winterhalbjahr nur zu den Gottesdiensten geöffnet.

Ein weiteres Highlight ist die Wanderung durch den Grenspark Kalmthoutse Heide, einem ausgedehnten Naturschutzgebiet an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden. In nur 20 Minuten gelangt man aus dem Trubel der Stadt mit der S-Bahn vom Zentrum Antwerpens in diese Traumlandschaft.

Zum Sonnenuntergang zum anderen Ufer der Schelde zu spazieren, durch den in den 30erJahren des 20.Jahrhunderts speziell für Fußgänger*innen und Radler*innen erbauten Tunnel, ist ein Erlebnis. Sich von der hölzernen Rolltreppe in die Tiefe rattern zu lassen und dann 500 Meter durch einen hell gekachelten, gut beleuchteten und belebten Tunnel zu gehen, der weder Graffitis aufweist noch nach Fäkalien riecht (wie geht so etwas!?).
Drüben angekommen, bietet sich ein umfassender Blick auf die Altstadt und einen kleinen Ausschnitt des Hafens, der mit zu den größten der Welt gehört.

Zeit für einen Besuch des MAS Museum bleibt leider nicht mehr, doch immerhin schaffen wir es, per Rolltreppen bis zum Dach des ehemaligen Speicherhauses zu fahren. Dort bieten sich grandiose Weitblicke. Wir verlassen Antwerpen in der Hoffnung, bald zurückkehren zu können. Um den Besuch im MAS Museum nachzuholen und das dort benachbarte, jüngst erschlossene, stadtnahe Hafenviertel Eilandje zu entdecken. Um den spektakulären Erweiterungsbau einer ehemaligen Feuerwache der Architektin Zaha Hadid in Augenschein zu nehmen …

Keine Kommentare

Ein Kommentar posten