Cottbus – ein Streifzug

Cottbus? Da wollt Ihr hin? Da wart Ihr? Wow! Da sind die Leute doch so rechts.
Ehrlicherweise müssen wir zugeben, auch wir waren von diesen Gedanken nicht frei. Auch uns hat die negative Presse beeinflusst.
Und natürlich stimmt es leider, dass im dortigen Stadtparlament die AfD 2019 nach den letzten Wahlen die stärkste Fraktion stellte. Aber immerhin: parteiinternen Querelen ist es zu verdanken, daß die AfD inzwischen von den ursprünglich 11 Sitzen im Stadtparlament nun nur noch 5 Sitze inne hat.
Es lohnt sich unbedingt, nach Cottbus zu fahren. Sich selbst eine Meinung zu bilden. Viele spannende Facetten der Stadt kennenzulernen. Und offenen, netten Menschen zu begegnen.
Eine Freundin schwärmte uns schon vor Jahren vom vor den Toren der Stadt gelegenen, im englischen Stil gestalteten Landschaftspark des Fürsten von Pückler vor.
Nun haben wir es endlich wahr gemacht und verbrachten zwei wunderschöne Tage in Cottbus. Bei warmem Spätsommerwetter und beginnender Herbstfärbung des Laubs.
Von Berlin aus auch als Tagesausflug machbar, nur eine gute Zugstunde entfernt, entscheiden wir uns, im jüngst eröffneten Cavalierhaus, mitten im Park von Branitz, für eine Nacht zu logieren. Dort ist es still. Wir träumen uns in die Welt des exzentrischen Fürsten von Pückler. Und können die vielfältigen, feinen kulinarischen Köstlichkeiten, die wir dort am Abend und am Morgen genießen, kaum fassen.
Entdeckungsreise Cottbus
Doch nochmal zurück zum Anfang.
Unser Zug endet in Cottbus. Wir spazieren durch einen langen, freundlich ausgeleuchteten, frisch fertiggestellten Personentunnel unter den riesigen Gleisanlagen hindurch, in nördliche Richtung gen Altstadt. Und stehen vor einem historischen Bahnhofsgebäude aus rotem Backstein. Heute ein Gründerzentrum. Drumherum ein grünes Biotop. Halbverfallene Industriearchitekturen. Brachen. Uns gefällt das Unfertige. Dennoch wundern wir uns über diese Art von Empfang in einer Stadt von etwa 100.000 Einwohner_innen. Einer Universitätsstadt. Erst am Ende unserer kleinen Entdeckungsreise verstehen wir, dass wir die Stadt durch die „Hintertür“ betreten hatten.
Cottbus mauserte sich nach den massiven Zerstörungen des 2.Weltkriegs allmählich wieder zu einer wichtigen Industrie-Stadt. Wohnraum war knapp. So plante man in den 1960erJahren eine neue Stadtmitte, südlich der Gleise. Begehrter Wohnraum in Neubausiedlungen entstand vor allem in den Jahren um 1970. Mit Warmwasser und Heizung. Cottbus wurde zu einem Verkehrsknotenpunkt. Ein größeres Bahnhofsgebäude musste her. Entworfen von UVATERV, einem Planungs-Büro aus Budapest, das bis heute tätig ist. 1978 wurde eine monumentale Empfangshalle von 108 Metern Länge, 37 Metern Breite und 12 Metern Höhe den zig-Tausenden von Reisenden übergeben.
Staatstheater Cottbus
Wir landen – in nördlicher Richtung – auf der Schillerstraße und bereits zwei Querstraßen weiter stehen wir staunend vor dem Monumentalgebäude des Staatstheater Cottbus. Einer Trutzburg im Jugendstil. „Eine architektonische Skulptur“, wie die Webseite des Theaters den Bau betitelt. Von Bernhard Sehring 1908 errichtet.
Die Pforten bleiben uns leider verschlossen. Alle Vorstellungen finden wegen Corona den Sommer über auf der grünen Wiese statt.
Nicht weit weg davon wird seit einigen Jahren zum Glück auch wieder das unter Denkmalschutz stehende Weltspiegel-Kino betrieben. 1911 erstmals eröffnet.
Klar ist, dass wir bei unserem nächsten Cottbus-Trip diese Gebäude von innen erleben wollen, bei Live-Vorstellungen.
Immerhin bleibt uns genug Zeit, das Gebäude des Staatstheaters von der gegenüberliegenden Terrasse des Café Schiller zu betrachten, bei köstlichem Kuchen und Kaffee. Erstaunlich – das Verkehrsaufkommen an der großen Kreuzung ist minimal. Nur wenige Autos sind unterwegs. Sonntagsruhe?
Spremberger Turm. Brandenburgisches Landesmuseum für Moderne Kunst
Auf dem Weg zum „Brandenburgischen Landesmuseum für Moderne Kunst“ kommen wir am mittelalterlichen Spremberger Turm vorbei. In den 20er-Jahren des 19.Jh. wurde der Turm im Zuge einer Sanierung durch eine vom preußischen Architekt/Bau-/Stadtplaner Karl Friedrich Schinkel beauftragten Zinnenbekrönung aufgehübscht bzw. erhöht. Wir steigen die 131 Stufen nach oben und blicken aus fast 30 Meter Höhe über die Stadt. Die Sicht ist prima. Bau-Wunden des 2.Weltkriegs sind sichtbar. Drumherum viel plattes Land. Am Horizont zahlreiche Windräder.
Im ehemaligen Dieselkraftwerk, heute Museum, wunderschön auf einem Spree-Inselchen in einem kleinen Park gelegen, entscheiden wir uns angesichts des sonnig-warmen Wetters, nur einen Ausstellungsteil zu besichtigen. Allein schon das architektonische Innenleben, die museumsgerechte Umgestaltung der Backsteingebäude aus den Zwanzigerjahren, lohnt den Besuch. Aber auch die beiden aktuellen Ausstellungen, die wir sehen, gefallen uns gut. Die Eine zeigt DDR-Kunst zum Thema „Emotionen“, bestückt überwiegend aus den eigenen Beständen. Die Andere eine kleine Schau von Werken des 19.Jahrhunderts, aus der Sammlung Prinzhorn. Von Künstler_innen aus psychiatrischen Kliniken Brandenburgs. Die netten Damen an der Kasse des Museums freut unsere Begeisterung für das Ausgestellte. So empfehlen sie uns, doch unbedingt auch noch die aktuelle Ausstellung in der Rathaushalle in Frankfurt/Oder zu besuchen. Zum Thema „Porträt“ in der DDR-Kunst. All die erwähnten Ausstellungen sind nun pandemiebedingt leider vorzeitig beendet bzw. geschlossen.
Parklandschaft Branitz. Restaurant Cavaliershaus
Etwa dreieinhalb Kilometer schlendern wir nach unserem Museumsbesuch durchgehend durch Grünanlagen. Dank der BUGA von 1995, durch die mit dem neuen Spreeauenpark der Grüngürtel geschlossen wurde. Im Park von Branitz genießen wir die friedliche Stimmung. Checken schnell im 3-Zimmer-Hotel im Cavalierhaus ein und machen vor dem Abendessen noch einen kleinen Parkspaziergang. Beobachten eine dicke Bisamratte, die auf der Wiese vor dem Schloss „weidet“. Umrunden die frisch renovierte Schmiede.
Mächtig gespannt auf das Restaurant, aufgrund frenetischer Kritiken in diversen Netzwerken, freuen wir uns über den guten Besuch. Darüber, dass wir auch an einem Sonntagabend nicht alleine dort sitzen. Die Mitarbeiter_innen sind guter Dinge. Gerne weihen sie uns in die Geheimnisse der servierten Speisen ein, die so köstlich schmecken.
Zum Frühstück am nächsten Morgen sitzen wir in einem eigenen, lichtdurchfluteten, wohlig eingerichteten Raum, in passender Größe für die 3 Zimmer. Wir bestellen von der Karte, frisch Zubereitetes. Nur das, worauf wir Appetit haben. Wir müssen uns nicht erschlagen fühlen, von einem überbordenden Frühstücksbuffet. Wunderbar.
Erlebnis Schloss Branitz
Am zweiten Tag lassen wir uns nach dem Frühstück von Stefan Körner durch die Räumlichkeiten des Schlosses führen. Anfang diesen Jahres übernahm er die Leitung von Schloss und Park Branitz. Seine Begeisterung für das Schloss, den Park, das (Ehe)Paar Pückler – Hardenberg und die ganzen Geschichten drumherum steckt uns sofort an. Verheiratet waren die Beiden nur 7 Jahre. In „wilder Ehe“ frönten sie jedoch weiterhin ihrer gemeinsamen Leidenschaft der Parkgestaltung, bis zu Lucie von Hardenbergs frühem Tod 1854. Sie hatte als die Managerin immer wieder neue Geldquellen aufgetan, damit sie trotz zeitweiser Pleiten weiterhin ihre finanziell aufwändigen Gartenkünste verwirklichen konnten.
Die Ausstattung der Schlossräume ist fantastisch. Welch gewagte Muster- und Farbzusammenstellungen. Das in grünblau gehaltene Musikzimmer erstrahlt aktuell in neuem Glanz. Wir sind mit die ersten, die den neu verlegten, leuchtend blauen Teppich bestaunen dürfen. Goldene Sterne sind hinein gewebt, wie einst von Pückler für den Ursprungsteppich entworfen. Damals, 1858, wurde der Webauftrag von der „Fabrik türkischer Teppiche“ Gevers und Schmidt im schlesischen Schmiedeberg (im heute polnischen Kowary) ausgeführt. Ein seltener Glücksfall, dass die bis heute dort wirkende Nachfolgefirma axprocarpets auch den jetzigen, neuen Teppich fabriziert hat. Auch der ursprüngliche Flügel wird im Musikzimmer wieder Aufstellung finden. Er soll damals von Clara Schumann und Felix Mendelssohn-Bartholdy eingespielt worden sein.
Meine Augen suchen immer wieder Beruhigung und finden diese in den Durchblicken durch die Fenster in den Park. Das Schloss wird im wahrsten Wortsinne von Orientzimmern – im obersten Stockwerk – bekrönt. Dort verewigte Fürst Pückler die Eindrücke seiner längeren Nordafrikareise, die ihn von Algerien bis in den Sudan führte.
Über das Paar lassen sich viele spannende Geschichten erzählen. Am besten lesen Sie selbst. Einiges an passender Literatur, von und über Pückler, findet sich in den gut bestückten Museums-Shops, im Schloss und Besucherzentrum. Dort können wir in einer kleinen, feinen Dauerausstellung auch noch in den lichtstarken Naturschilderungen des Cottbuser Landschaftsmalers Carl Blechen „spazieren gehen“.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof saugen wir nochmal ganz bewusst viele schöne Gartenbilder in uns auf, und kommen an den beiden Pyramiden vorbei. In der im Wasser stehenden Pyramide ließ Fürst Pückler seine Überreste beerdigen. Auch Lucie von Hardenberg fand letztendlich ihren Ruheplatz dort.
Dann stehen wir vor dem Eingang zum Tierpark. Wir haben keine Zeit mehr, diesen noch zu durchstreifen. Aber für 1€ Eintritt können wir trotzdem rein und gleich in den Spreeauenpark abbiegen. So streifen wir auch noch durch einen kleinen, besonderen Parkabschnitt, einen angelegten Tertiärwald. Bevor wir dann am Ende unseres Ausflugs vor dem tatsächlichen Hauptbahnhofsgebäude stehen.
Zukunftsstadt Cottbus
Beseelt kehren wir von unserem Kurztrip zurück. Und malen uns bereits unsere nächste Cottbus-Reise aus. Vielleicht nehmen wir dann die Räder mit.
Und radeln damit ins 30 Kilometer entfernte Muskau, um auch den dortigen Park zu besichtigen. Ebenfalls eine Gartengestaltung á la Pückler. Samt prachtvoller, dreiflügeliger Schlossanlage. Dort war Hermann von Pückler aufgewachsen.
Oder wir könnten zum gerade entstehenden Ostsee hinaus strampeln.
Die Stadt hat Großes vor. Schafft spannende Zukunftsperspektiven.
Aus einem riesigen Braunkohle-Abbau-Gebiet soll der größte künstliche Binnensee Deutschlands entstehen. Ob angesichts der anhaltenden Trockenheit die Spree und das Grund- und Regenwasser den 19 Hektar großen See im Laufe der nächsten Jahre speisen können, wird sich weisen. Auch, wie dies möglicherweise das Mikroklima verändert.
Erneut sind neue Stadtviertel in Planung, in Richtung Ostsee.
Die noch junge Universität wird um neue Fachbereiche erweitert.
Das Bahnwerk soll vergrößert werden. Um dort die ICE 4 Reihe instand zu halten.
Viele neue Arbeitsplätze werden geschaffen. Mit noch vielen weiteren Projekten, unter dem Motto „Strukturwandel Lausitz“.
Bei einem nächsten Besuch möchten wir unbedingt das Stadtzentrum ausführlicher durchstreifen. Weitere Spuren der Geschichte entdecken. Im Stadtmuseum Cottbus vielleicht etwas über die Tuchindustrie erfahren, einst wichtigster Industriezweig. Dann hat hoffentlich auch das sich derzeit im Umbau befindliche Wendische Museum wieder geöffnet. Und wir können dort endlich erfahren, wie sich der sorbische Ortsname Chóśebuz=Cottbus korrekt ausspricht. Mehrere Versuche, dies herauszubekommen, führten nicht zum Erfolg. Wir treffen keine_n der Sorben, die dieser Sprache noch mächtig sind, auch, wenn es sie noch geben soll. Immerhin sind alle Straßenschilder zweisprachig.
Es verlockt uns sehr, auch beim nächsten Besuch im Cavalierhaus zu übernachten. Obwohl es natürlich noch andere reizvolle Unterkünfte gäbe. Ein Kontrastprogramm wäre die Jugendherberge. In einem historischen Gebäude, zwischen Klosterplatz und Puschkinpark, ruhig am Rande der Altstadt gelegen. Oder aber – etwas außerhalb – das Waldhotel-Cottbus. Attraktiv vor allem wegen seines überzeugenden Nachhaltigkeitskonzepts.
Unsere Neugier ist geweckt, den Fokus immer wieder auf Cottbus zu lenken. Hinzufahren, um die Veränderungsprozesse zu sehen, um die Stadt in neuer Blüte zu erleben.
Ganz herzlichen Dank an Stefan Körner, Direktor der Pückler-Stiftung, für ergänzende Hinweise.
Meine ausführliche Fotostrecke gibt es hier.
Keine Kommentare