Ein Wochenende in Wien
Der Monat November überrascht meinen Mann und mich immer wieder. Mit mildem Klima und nach wie vor warm-grün-rot-braun-leuchtendem Herbstlaub. So in diesem Jahr auf unserer Kurzreise nach Wien.
Schon die Zugfahrt von Berlin über Nürnberg, Passau und dann weiter, immer wieder entlang der Donau, bis Wien, im Hintergrund der Blick auf die mit Schnee bepuderten Bergspitzen, ist eine Wonne für unsere Sinne.
In Wien, bei unserem Besuch von Schönbrunn geben wir unseren eigentlichen Plan, eine GrandTour durch die Schloss-Gemächer, leichten Herzens auf. Und spazieren bei dem angenehmen Wetter viel lieber durch die weitläufige Parkanlage. Zunächst durch die barock-symmetrisch angelegten Parterre-Bereiche mit ornamental angeordneten Pflanzen. Dann durch die busch- und baumbestandenen Seitenbereiche, mit kleinen, versteckten Plätzchen. Vorbei an einem Najadenbrunnen und einem eindrucksvoll inszenierten römischen Ruinenbrunnen. Schließlich erklimmen wir den Schönbrunner Berg auf verschlungenen Wegen und erreichen die in der Schlossachse hoch oben thronende Gloriette. Das lohnt. Die Aussicht über das westliche Wien ist grandios. Für einen Kaffee im dortigen Lokal bleibt leider keine Zeit. Das werden wir beim nächsten Wien-Besuch nachholen, zusammen mit einer Besichtigung des Schlosses von innen.
Das Highlight unserer diesjährigen Wien-Reise ist die Dürer-Ausstellung in der Albertina. Die vielen Besucher*innen um uns herum sind schnell vergessen. Während dreier Stunden versenken wir uns in die Zeichnungen, Grafiken und Malereien. Lassen uns von Dürer Geschichten erzählen. Staunen über seine geradezu zeitlose Kunst. Über den dokumentarischen Charakter. Über die mit leichtem Strich hingeworfenen Landschaften oder Porträts. Über die Sogwirkung. Die Haptik. Über die aus seinen Werken sprechende Seele. Noch bis zum 06.Januar 2020 gibt es die Chance, eine wunderbare Auswahl von gut 200 Werken Dürers in Wien zu bestaunen.
Die Kaffee- und Gasthäuser Wiens üben immer wieder großen Charme auf uns aus. Vor allem jetzt, da die Luft in den Lokalen um vieles erträglicher ist. Am 01.November diesen Jahres ist endlich auch in Österreich ein umfassendes Rauchverbot in Kraft getreten. Die Besucherzahlen haben sich zwar aktuell reduziert. Sicher wird aber auch hier, wie in den anderen Ländern, ein Gewöhnungseffekt eintreten und es wird vor der Türe geraucht werden. Denn wer kann schon dauerhaft auf den Besuch des Kaffeehauses verzichten?
Die Kaffeehauskultur, seit 2001 immaterielles Kulturerbe der UNESCO, etabliert sich im 18.Jahrhundert zu einer Institution und erlebt ihre Blütezeit um 1900. Erst seit etwa 1850 sind auch Frauen zugelassen. Viele Kunstschaffende verbringen dort ihre Tage und Nächte, bei Zeitungslektüre, Kaffee und Gebäck am Marmortischchen, auf den typischen, gebogenen Holzstühlen der Firma Thonet sitzend, bei live Klaviermusik. Bewegung bietet zwischendurch eine Runde Billard; in einigen Cafés auch noch heute Standard.
Nach wie vor heißt am Eingang ein Ober die Gäste willkommen und geleitet sie zu einem freien Platz. Noch immer existiert eine Reihe wenig oder umsichtig renovierter Etablissements, die Geschichte atmen. Da nehmen wir gerne auch mal durchgesessene Polsterbänke in Kauf. Freuen uns an einer heißen Suppe zu später Stunde und am zuvorkommenden Service, wie im Café Weidinger.
Das Café Westend kenne ich seit den frühen 80er-Jahren. Gegenüber dem Westbahnhof liegend, hat es – nicht nur für uns – bis zur Eröffnung des neu gebauten Wiener Hauptbahnhofs als „Wartehalle“ fungiert. Da wir öfters in dieser Ecke Wiens unterwegs sind, kehren wir nach wie vor gerne im Westend ein. Seit gut einem Jahr hat das Café eine neue Leitung und ist behutsam renoviert. Wir fühlen uns wohl dort. Den ganzen Abend spielt ein Pianist unaufdringliche Weisen. Der Unterschied zu einst: die Kellner sind jung und das Café schließt bereits um 23 Uhr.
Zum ersten Mal statten wir dem Haus des Meeres einen Besuch ab, untergebracht in einem ehemaligen Flakturm, einem Hochbunker des 2.Weltkriegs. Von außen kein einladendes Gebäude. Innen taucht man in überraschende Wasserwelten ein. Besonders fasziniert sind wir von der Poesie der Quallen. Staunend stehen wir vor frisch geschlüpften, nur millimetergroßen Seepferdchen, die hier durch Planktonwasser schweben. Auch ihrer Sprache kann man lauschen. Was sie zu sagen haben, können uns allerdings höchstens die Wissenschaftler*innen übersetzen, die hier dazu forschen. In Erinnerung bleibt auch das Tropenhaus. Neben Fischen und Schildkröten flattern bunte Vögel um uns. Zudem sind Flughunde und verschiedene, kleine Äffchen unterwegs. Alle leben in munterer Koexistenz beieinander. Und wenn nach dem Umbau demnächst das Café Ocean Sky im obersten Stock wieder seine Pforten öffnet, lässt sich von hier oben auch noch wunderbar ein Rundumblick über Wien und seine Umgebung genießen. Überdies gibt es ganz oben eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Turmes.
An einem Abend lauschen wir dem ORF Radiosinfonieorchester Wien, das die Sinfonie X des Komponisten Dieter Schnebel – als Ganzes zum zweiten Mal überhaupt – in über zwei Stunden zu Gehör bringt. Was für ein opulentes Werk. Wir sind froh, dass wir die Musikerinnen sehen, und nicht nur hören. Die zahlreichen Schlagwerker, die mit Hilfe unzähliger Utensilien unterschiedlichste Geräusche produzieren, bieten uns Kurzweil, wenn die teils ungewohnten Klänge auch mal anstrengend werden. Das Ganze wird im festlichen, großen Saal des Musikverein Wien dargeboten. Die Musiker*innen sitzen auch beidseitig des Parketts auf den unteren Galerien bis nach hinten im Saal. So genießen wir einen vollen Raumklang.
Viel zu schnell sind die drei Tage Wien vorbei. Viel zu wenig Zeit bleibt zum schlendern, flanieren, schauen. Eines ist sicher: wir kommen wieder. Schon bald.
Mit dem Nachtzug treten wir die Heimreise nach Berlin an. Und nutzen dafür das noch verbesserungswürdige, neue Angebot des ÖBB Nightjet. Ein privates Sitzabteil. Das große Manko: es gibt keine Vorhänge zum Gang hin. Von privater Atmosphäre leider keine Spur. Da wird hoffentlich bald Abhilfe geschaffen.
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